DIGITALIREPORT 2023

WO STEHT DEUTSCHLAND?

Im Jahr 2022 gab es zahlreiche Krisen und Krieg, jedoch war auch der technologische Fortschritt bemerkenswert. Die Ukraine nutzte digitale Technologien als mitunter ausschlaggebenden militärischen Vorteil gegenüber Russland, Kernfusion wurde erstmals erfolgreich genutzt, um mehr Energie freizusetzen als die Erzeugung verbraucht und ChatGPT demonstrierte die rasanten Fortschritte der künstlichen Intelligenz.

In Deutschland wurden die Hoffnungen in Bezug auf digitale Zukunftstechnologien im Jahr 2022 enttäuscht. Geradezu ernüchternd fällt die Gesamtbilanz aus. Laut dem diesjährigen Digitalreport des „European Center for Digital Competitiveness“ ist der Rückstand im Bereich der Digitalisierung im Vergleich zum Vorjahr noch ausgeprägter. Die Ergebnisse der Ampelregierung in Bezug auf einen digitalen Neuanfang fielen hinter den Erwartungen zurück. Nach dem Regierungswechsel waren die Hoffnungen groß, dass die Digitalisierung in der politischen Agenda einen anderen Stellenwert erhält und von der neuen Regierung entschiedener vorangetrieben wird als von der vorherigen Bundesregierung. Ende 2021 waren 82 Prozent der Führungsspitzen aus Politik und Verwaltung überzeugt, dass die neue Regierung die Digitalisierung entschiedener vorantreiben wird, lediglich 17 Prozent waren skeptisch. Das aktuelle Meinungsbild ist von Enttäuschung geprägt: Nur noch 15 Prozent der Führungsspitzen attestieren der neuen Regierung, dass sie die Digitalisierung entschiedener vorantreibt, 83 Prozent haben demgegenüber den Eindruck, dass die erhofften Impulse ausgeblieben sind. (Schaubild 4)

Bei dieser Einschätzung ist die Zusammenballung von Krisen zu berücksichtigen, mit denen sich die Koalition unverhofft konfrontiert sah. Der Krieg in der Ukraine, die Sicherung der Energieversorgung und die Inflation haben Kräfte gebunden und vieles, das auf der politischen Agenda stand, zumindest vorübergehend überlagert. Allerdings haben die Führungsspitzen den Eindruck, dass die Politik auch auf Feldern vorangekommen ist, insbesondere bei der sozialen Absicherung: 48 Prozent der Führungsspitzen insgesamt attestieren der Regierung, dass sie bei der sozialen Absicherung mit der Realisierung ihrer Vorhaben vorangekommen ist; von den Führungsspitzen aus der Politik fällen 63 Prozent dieses Urteil. Zurückhaltender ist die Bewertung der bisherigen Klimaschutzbilanz: 23 Prozent der Führungsspitzen insgesamt haben den Eindruck, dass die Koalition hier mit ihrer Agenda vorankommt, von den Führungsspitzen aus der Politik 28 Prozent. In Bezug auf die Digitalisierung sind sich jedoch Wirtschaft und Politik weitgehend einig, dass hier kaum Fortschritte erzielt wurden; noch kritischer wird lediglich die geplante Modernisierung der Verwaltung bewertet: 3 Prozent der Führungsspitzen sehen Fortschritte bei der Digitalisierung, 1 Prozent bei der Modernisierung der Verwaltung.

Erstmals blicken die meisten Befragten pessimistisch in die digitale Zukunft des Landes. Es fehlen konkrete Ergebnisse und Fortschritte in der Digitalisierung und die Modernisierungen in der Verwaltung sind kaum erkennbar. Obwohl die Befragten Fortschritte bei der sozialen Absicherung und beim Klimaschutz sehen, stagniert das Vertrauen in die Digitalkompetenz der Politik. Stagnation kann sich ein Land, das so großen Aufholbedarf und Ambitionen in der Digitalisierung an den Tag legt, nicht leisten. Unter den Führungsspitzen aus Wirtschaft und Politik gibt es keinerlei Zweifel, dass Deutschland bei der Digitalisierung im Rückstand ist. 2019 waren davon 89 Prozent überzeugt, aktuell sind es 96 Prozent. Deutlich verändert hat sich jedoch die Hoffnung, dass Deutschland diesen Rückstand in absehbarer Zeit aufholen kann. Über die letzten Jahre hinweg war stabil rund die Hälfte der Führungsspitzen aus Wirtschaft und Politik überzeugt, dass Deutschland gute Chancen hat, rasch aufzuschließen. Vor einem Jahr sahen hier 51 Prozent der Führungsspitzen gute Chancen, nur 5 Prozent kaum oder gar keine Chancen.

Dieser Optimismus ist in den vergangenen 12 Monaten erdrutschartig verfallen. Aktuell trauen nur noch 28 Prozent der Führungsspitzen Deutschland zu, auf dem Gebiet der Digitalisierung rasch aufzuholen, während 52 Prozent nur begrenzte Chancen sehen und 16 Prozent sogar kaum oder gar keine Chancen. Damit hat sich unter den Führungsspitzen der Kreis, der die Perspektiven außerordentlich skeptisch bewertet, mehr als verdreifacht, der Kreis der optimistisch Gestimmten nahezu halbiert.

Die große Mehrheit der Bevölkerung schätzt die Digitalisierung als zukunftsentscheidend ein und sieht enorme Potenziale, insbesondere in der Verwaltung, im Gesundheitsbereich und in der Wirtschaft. 31 % der Befragten Teilnehmer:Innen  schreiben der Digitalisierung sehr große Bedeutung, weitere 46 Prozent große Bedeutung zu, während lediglich 11 Prozent Fortschritten bei der Digitalisierung geringe Bedeutung für die Zukunft des Landes zuschreiben. Quer durch alle sozialen Schichten ist die große Mehrheit überzeugt, dass von Fortschritten bei der Digitalisierung für Deutschland viel abhängt; trotzdem gibt es zwischen den Schichten deutliche Abstufungen: In den höheren sozialen Schichten ist knapp die Hälfte überzeugt, dass dies für das Land sehr große Bedeutung hat, in den schwächeren sozialen Schichten sind es dagegen nur 15 Prozent.

Die überwältigende Mehrheit der Bevölkerung sieht in der Digitalisierung einen Hebel, der in vielen wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Bereichen dazu beitragen kann, dass dort Fortschritte erzielt werden. Das gilt primär für die Verwaltung, den Gesundheitsbereich, die Industrie, den Dienstleistungsbereich, die Sicherheitskräfte und den Schulunterricht. 80 Prozent der Bürger und Bürgerinnen sind überzeugt, dass die Digitalisierung einen großen Beitrag dazu leisten kann, dass die Verwaltung besser aufgestellt wird; 72 Prozent verbinden diese Chance auch im Gesundheitsbereich mit der Digitalisierung, 62 Prozent im Schulunterricht. Weniger Bedeutung schreibt die Bevölkerung der Digitalisierung im Bereich Wohnen und Haustechnik, in der persönlichen Kommunikation und in der Pflege zu. Dass die Potenziale der Digitalisierung in der persönlichen Kommunikation gering eingeschätzt werden, hat vor allem damit zu tun, dass sich die Kommunikation der Bevölkerung sowohl beruflich wie privat bereits in den vergangenen 10 Jahren durch die Digitalisierung einschneidend verändert hat.

Die bisherigen Auswirkungen der Digitalisierung auf die Arbeitswelt werden von Berufstätigen weit überwiegend positiv erlebt. 52 Prozent ziehen die Bilanz, dass der Einzug digitaler Technologien in den Arbeitsalltag, für sie persönlich überwiegend Vorteile gebracht hat; lediglich 5 Prozent ziehen eine negative Bilanz, 33 Prozent sehen für sich persönlich weder Vorteile noch Nachteile. Die persönliche Bilanz ist in hohem Maße von dem ausgeübten Beruf geprägt. Die Berufe der höheren sozialen Schichten haben sich weitaus stärker durch Digitalisierung verändert als die Berufe, die in den schwächeren sozialen Schichten dominieren.

Entsprechend fällt die Bilanz der Auswirkungen der Digitalisierung in den verschiedenen sozialen Schichten völlig unterschiedlich aus: In den höheren sozialen Schichten ziehen 76 Prozent das Fazit, dass die Vorteile der Digitalisierung für sie im beruflichen Alltag überwiegen; in der Mittelschicht ziehen 51 Prozent eine vergleichbar positive Bilanz, in den schwächeren sozialen Schichten dagegen nur 15 Prozent. Das heißt nicht, dass die schwächeren sozialen Schichten in nennenswertem Umfang Nachteile der Digitalisierung sehen; vielmehr ziehen 62 Prozent die Bilanz, dass sich ihr Arbeitsalltag nicht nennenswert durch Digitalisierung verändert hat und dass sie entsprechend weder Vorteile noch Nachteile aus dieser Entwicklung ziehen.

Digitale Technologien sind das fundamentale Rückgrat des zukünftigen Wohlstands in Deutschlands. Ohne sie können wir keine wettbewerbsfähigen Produkte und Dienstleistungen mehr für den Weltmarkt entwickeln, können wir nicht die besten Talente aus der ganzen Welt nach Deutschland ziehen und werden wir es nicht schaffen, unsere Effizienz in Prozessen und Verwaltung beizubehalten oder gar zu optimieren. Damit Deutschland im internationalen Wettbewerb nicht noch weiter zurückfällt, benötigt es 2023 dringend eine kraftvolle Digital- und Technologiepolitik. Um digitale Technologien und Innovationen zu fördern, muss Deutschland investieren und den Staat als Treiber zukunftsweisender Technologien einsetzen. Es ist notwendig, Rahmenbedingungen und Wachstumsfinanzierung für innovative Start-ups zu schaffen und einen Bürokratie- und Rechtsrahmen aufzubauen, der Innovation belohnt und nicht im Keim erstickt.

Zusätzlich eröffnen sich im Bereich Greentech einzigartige Chancen für Deutschland und Europa. Neue Technologien können die Dekarbonisierung unserer Wirtschaft vorantreiben und dabei neues Wohlstandpotential schaffen. Europa hat in diesem Feld eine hervorragende Ausgangsposition und sollte diese Chancen konsequent und schnell nutzen. Die Möglichkeiten, die digitale Technologien für Deutschland bieten, sind enorm und die größte Gefahr für den zukünftigen Wohlstand des Landes ist, diese Chancen ungenutzt zu lassen.

Handlungsempfehlungen

Die Digital- und Technologiepolitik in Deutschland benötigt dringend konkrete und für die Bevölkerung sichtbare Ergebnisse, die einen Strukturwandel einleiten, damit das Land auch in Zukunft ein Standort für Hightech und Innovation bleiben kann. Hierfür sind insbesondere drei Hebel zentral:

HEBEL 1 - Greentech nutzen statt verschlafen

Deutschland muss die Chancen von Greentech, für die Dekarbonisierung strategisch nutzen: schnell, entschlossen, konsequent. Es braucht eine massive Förderung von Start-ups im Bereich Greentech in Deutschland. (Der Gesamtmarkt für Greentech 2030: $12.000.000.000.000) Starke Anreize zur Kommerzialisierung von Forschungsergebnissen sowie zum Austausch von technischen Universitäten und Business Schools müssen geschaffen werden. (Beispiel: UnternehmerTUM München) Der Verkauf von Clean Meet muss in Deutschland und Europa erlaubt werden. (Verkauf in Singapur möglich, auch von U.S. FDA bereits freigegeben)

HEBEL 2 - Digitale Verwaltungswende

Die Verwaltung in Deutschland muss schnell digitalisiert und automatisiert werden: Die deutsche Verwaltung muss alle Dienstleistungen digital anbieten. (Stand 2022 laut Normenkontrollrat: 33 von 575) Ein einfaches und zentrales Portal für alle staatlichen Leistungen und Dokumente muss geschaffen werden. (Vorbild Ukraine: Staat im Smartphone-Projekt) Deutschland benötigt massive Investitionen in Schulungen von Verwaltungsmitarbeitern für digitale Technologien.

HEBEL 3 - Digitale Talente

Die Technologiekompetenz und Attraktivität für Talente in Deutschland muss erhöht werden: Einführung kostenfreier Angebote zur digitalen Weiterbildung (Eurostat: Nur 50 Prozent der Bevölkerung verfügen über digitale Basiskenntnisse) Vereinfachte Visaerteilung für internationale Top-Talente (Beispiel: Singapur Overseas Network & Expertise Pass) Zunehmende Etablierung von Englisch als zusätzlicher Arbeitssprache (Ziel: 80 Prozent der unter 30-Jährigen sprechen “sehr gut” Englisch, 2022 sind dies nur 29 Prozent)

Quelle: EUROPEAN CENTER FOR DIGITAL COMPETITIVENESS – Digitalreport 2023 – (LINK)

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